Thread Wieder der Vernunft II: shortcuts, short circuits and bypasses (11 answers)
Opened by Shagreen at 2003-09-22 14:46

Shagreen
 2003-09-22 14:46
#22496 #22496
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Ich nehme Bezug auf den Artikel Lastesel der Nation.

Spiegel,22.09.2003,00:00
Damit die Lohnnebenkosten sinken, sollten die Sozialkassen vom Faktor Arbeit weitgehend abgekoppelt werden. Entsprechende Konzepte haben jüngst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (SPIEGEL 11/2003) sowie die Rürup-Kommission mit ihrem so genannten Kopfpauschalen-Modell vorgelegt.

Die Sozialkassen sollen also vom Faktor Arbeit abgekoppelt werden. Die Kassen leben aber von den Einnahmen der Einzahler. Die Einzahler müssen, um ihrer Zahlungsverpflichtung nachkommen zu können, ein Geldeinkommen haben, also einer "lohnenden" Arbeit nachgehen. Die Lohnnebenkosten müssen demnach in die Lohnkosten aufgelöst werden. Da die Lebenssicherung nun einmal nach betriebswirtschaftlichen Kriterien ein Minusgeschäft ist und auch in Zukunft bleiben wird, müssen dann aber auch die Löhne individuell stetig nach oben korrigiert werden. Gewerkschaften werden vollkommen obsolet; das Lohngefeilsche wird Aufgabe der Tarifpolitik jedes Einzelnen für sich selbst.

Spiegel,22.09.2003,00:00
Um niedrig entlohnte Jobs attraktiver zu machen, müssen Sozial- und Arbeitslosenhilfe konsequent auf das Prinzip "Fördern und fordern" umgestellt werden - nach Modellen, wie sie etwa der Münchner Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn entwickelt hat: Wer angebotene Jobs ablehnt, muss Kürzungen in Kauf nehmen. Im Gegenzug erhalten Niedriglöhner Anspruch auf staatliche Lohnzuschüsse.

Der arbeitende Arme ("working poor"), der lange Zeit staatlich "über Gebühr" subventioniert wurde, wird endlich wieder sein (vogel)freies Vagabundendasein leben können/müssen. Das "Friß oder Stirb" ist die zynische Konsequenz von Slogans wie "Arbeit macht frei!" oder "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!", die im faschistischen KZ, wie im kommunistischen GULAG als Endlösung gefeiert wurde.

Spiegel,22.09.2003,00:00
Um den Faktor Arbeit zu entlasten, müssen die Steuersätze gesenkt und zum Ausgleich Schlupflöcher und Vergünstigungen abgebaut werden. Ein solches Modell hat schon vor Jahren der Hohenheimer Steuerprofessor Peter Bareis erarbeitet.

Die Arbeit(skraft) kann nur vom Lohn selbst entlastet werden. In einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist das Augenwischerei, da die Arbeitskräfte über die Arbeitsmärkte konsumiert werden. Solange man von der Arbeit als Faktor spricht, wird die Gesamtrechnung nicht aufgehen. Das Problem ist, das es zu wenig Lohnarbeit gibt. Das Kapital ist ausgebrannt und häuft maximal noch fiktive Geldwerte an; die Akkumulationsbewegung wird nur noch simuliert. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind der beste Beweis für die Lächerlichkeit unseres alltäglichen Selbstbetrugs, für die Ratio eines Fetischsystems von Ware, Geld und Arbeit. Der Mensch schafft und muß nicht wie ein unzurechnungsfähiger, hilfloser Idiot beschäftigt werden.

Spiegel,22.09.2003,00:00
Versicherungsfremde Leistungen in den Sozialkassen sollten eigens ausgewiesen und konsequent über Steuern finanziert werden. In der Arbeitslosenversicherung zum Beispiel tragen die Beitragszahler einen Großteil der Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik, von der Weiterbildung bis zur Beschäftigungsförderung. Doch der Rat vieler Ökonomen, die Maßnahmen stärker über Steuern zu finanzieren, hatte bislang keine Chance.

Sind die Beiträge zu den "Existenzversicherungen" nicht zu mehr zu steuern, muß die Steuer dazu beitragen. Die Lasten sollen auf die Allgemeinheit verteilt werden. Cleverer wäre es, die Lasten garnicht mehr entstehen zu lassen, aber wo wäre dann das Geschäft?

Es bleibt dabei: Die Anzahl der Lastesel soll erhöht werden, damit die Last gerecht (gleich) verteilt ist (Vorsicht: kapitalistische Utopie bzw. utopischer Kapitalismus). Fakt ist aber, der Esel bleibt!

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