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Wider der Vernunft V: shortcuts, short circuits and bypasses



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Shagreen
 2003-11-18 19:33
#13173 #13173
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"Mut zur Wahrheit - Wille zum Wandel"

"Mut zur Wahrheit - Wille zum Wandel" betitelt der Bundeskanzler seine Parteitagsrede und bei dem immer wieder darin gelobten und nötigen Modernisierungsprogramm (oder modernen Nötigungsprogramm) "Agenda 2010" bekommt man unwillkürlich den Eindruck, es handele sich um die Schrödersche Kurzfassung von Gorbatschows "Glasnost und Perestroika". Führte jene zum Staatsbankrott der Sowjetunion, deren Grundlagen schon gleich nach der Revolution von 1917 gelegt wurden, wird die deutsche Neuauflage im endgültigen Kollaps der hiesigen sozialen Sicherungssysteme enden. Nach 140 verpennten Jahren (mit kurzen traumwandlerischen Zuständen während Vaterlandseinsätzen) rappelt sich die real existierende Lohnarbeiterpartei auf, um die sozialdemokratische Endlösung zur sozialen Frage zu (er)finden. Da kann einem schon vor dem Morgengrauen vor dem Morgen grauen. Schröder amüsiert nicht nur mit Brechts Kinderhymne - und man sieht schon wie die Genossinnen und Genossen, noch Schlaf in den Augen, sich zur Zukunftsmusik bei den Händen fassen -, nein auch vor der "Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens" macht er nicht halt und schießt damit ein bilderbuchmäßiges Eigentor. Das sollte doch für einen Klapps auf die Schmidt-Mütze gereichen.

Quote
Bert Brecht,
Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens

Der Mensch lebt durch den Kopf.
Sein Kopf reicht ihm nicht aus.
Versuch es nur, von deinem Kopf
Lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlau genug.
Niemals merkt er eben
Diesen Lug und Trug.

Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch 'nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höhres Streben
Ist ein schöner Zug.

Ja, renn nur nach dem Glück
Doch renne nicht zu sehr
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht anspruchslos genug.
Drum ist all sein Streben
Nur ein Selbstbetrug.

Der Mensch ist gar nicht gut
Drum hau ihm auf den Hut.
Hast du ihm auf den Hut gehaun
Dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht gut genug
Darum haut ihm eben
Ruhig auf den Hut!
Cooly
 2003-11-18 20:42
#13174 #13174
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hallo

in dem Zusammenhang erscheint der heutige arte-Themenabend interessant

link



Cooly\n\n

<!--EDIT|Cooly|1069181159-->
Ronnie
 2003-11-18 21:45
#13175 #13175
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Erstaunlich dieser Wille zur Selbstzerstörung, in einer Partei, deren Ziele - die soziale Gestaltung der Marktwirtschaft, und deren Klientel - der 'kleine Mann', sie sich heute kaum mehr zu erinnern scheint. Wo ist sie gelandet, ihrer Führungsriege folgend, auf das Schafott der eigenen Basis und das der Wähler - aber keine Richtungsänderung in Sicht, mit voller Fahrt in das soziale Eismeer der Neoliberalen, wobei die Mitgliederflucht sich nur mit deren der Gewerkschaften messen lassen kann. Was bleibt ist ein schaler Nachgeschmack und ein leiser Abgesang...
Shagreen
 2003-11-20 13:55
#13176 #13176
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Ja, der Parlamentarismus kommt zu seinem ungerechten Ende (aber er ist längst noch nicht tot, eher untot), und mit ihr die Demokratie in der Zuhälterrolle für die Marktwirtschaft. Politik und Ökonomie lassen sich eben nicht auseinanderdividieren und doch sind sie im bürgerlichen Bezugssystem unvereinbar. Was zu fressen und ein Dach über den Kopf, ist eben sozialpolitischökonomischer (treten wir das Unwort gleich wieder in die Tonne und sagen menschlicher) Daseinsanspruch. Schon gar nicht ist er unter verschiedenen Institutionen/Apparaten/Märkten funktional aufteilbar und vermittelbar. Nur wollen es die gewählten Volksvertreter und Macher nicht so recht wahrhaben und werden auch weiterhin nur Aufführungen im Simulationstheater veranstalten. Ist die Nationalökonomie auch in Auflösung begriffen, schwindet aber nicht mit ihr die territoriale Staatskunst, auch wenn sich die Restlinke etwas auf "Weltinnenpolitik" zusammenreimt. Schließlich muß man das Volk doch irgendwie in Schach halten. Wäre ja noch schöner, wenn da jeder macht, was er will. Bezeichnend für das Erwachen neuer zombiotischer Regierungswilliger war auch der PDS-Parteitag in Chemnitz. Schließlich blickt man auf eine lange Tradition von staatlicher Menschenverwaltung zurück. Da braucht man sich nicht zu verstecken. Das alte Lied ("Wann wir schreiten Seit an Seit") darf dann gemeinsam "doppelplusrot" angestimmt und linientreu durchgezogen werden. Und wenn endlich zusammenwächst, was zusammengehört, fusionieren SPD und PDS zur SPDS, der SPezialdemokratischen einbreipartei deutschlanDS. Schließlich erwachsen aus vereinter Dummheit noch Synergieeffekte.
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 2003-11-20 14:20
#13177 #13177
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@Shagreen: Deine Texte sind einfach der Hammer. Find ich sau gut wie du schreiben / reden kannst. Ich kann mich nicht annährend so intelligent ausdrücken wie du?
Des weiteren sind die politischen Ansichten und Auffassungen absolut interessant, objektiv und veranschaulichend.
Woll ich nur so am Rande erwähnen.

Gruß Alex
Shagreen
 2003-11-20 18:57
#13178 #13178
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[quote=format_c,20.11.2003, 13:20]@Shagreen: Deine Texte sind einfach der Hammer. Find ich sau gut wie du schreiben / reden kannst. Ich kann mich nicht annährend so intelligent ausdrücken wie du?
Des weiteren sind die politischen Ansichten und Auffassungen absolut interessant, objektiv und veranschaulichend.
Woll ich nur so am Rande erwähnen.

Gruß Alex[/quote]
Danke, danke - man tut, was man kann (auch wenn man dafür immer mal die Arbeit niederlegen muß ;-).
Hier noch für alle arbeiterbewegten Retrofans:
Der Verrat. 1918/19 - als Deutschland wurde, wie es ist
und passend zum Thema abgereimt ;-)
Die Masse weiß Bescheid,
der Partei wurde Bescheid gestoßen.
Die Masse war bereit,
der Partei bereitet's volle Hosen.
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