Thread Wieder der Vernunft I: shortcuts, short circuits and bypasses
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Opened by Shagreen at 2003-09-17 12:58
Hallo Jan,
der Status Selbständiger verdunkelt die Tatsache, daß Du trotz alledem einer einkommensabhängigen Beschäftigung nachgehst; es ist aber nur eine "Scheinselbständigkeit" (die auf einmal, wie durch wundersame Weise, staatlich gebilligt, nein gepredigt, wird). "Kümmert Euch selbst, nur kommt uns nicht mit Forderungen! Dann lassen wir Euch auch in Ruhe." Das ist doch beachtlich, nachdem die Produktivkräfte von den Produktionsmitteln getrennt worden sind und die Solidarität der Lohnarbeiter durch ein Sozialsystem vorsätzlich ausgeschaltet worden ist. Leider kenne ich niemanden mit einer 40-Stundenwoche (ok laut Arbeitsvertrag habe ich eine, zu dumm das das Beamen noch nicht erfunden wurde). Die meisten arbeiten länger, bei manchen ist die Arbeitszeit auch auf zwei (oder drei, wenn man Plasmaspenden dazurechnet) Jobs verteilt. Dann gibt es einige, die arbeiten deutlich weniger. Viele haben schlechtbezahlte Jobs, sie sind aber zufrieden, daß sie überhaupt welche haben. Ich nehme den Verlust an Menschenwürde aber am ehesten wahr, wenn ich Programme für den militärisch-industriellen Komplex entwickeln muß. Daß Du den Wohlstand einer Nation aus der Masse an Konsumgütern ableitest, damit liegst Du leider auch voll im Mainstream. Wenn Du dabei aber den Besitz eines Fernsehers hervorhebst, entwertest Du Deine eigene Kritik, da Du selbst keinen hast (soweit ich mich erinnere, gelesen zu haben). Noch dazu sind die begehrtesten Konsumgüter Investitionsgüter (z.B. Auto, Handy, Wohneigentum), weniger Verbrauchsgüter. Der deutsche Spießbürger ist nicht mehr der sparsame, vorsichtige und "für-einen-harten-Winter-Vorrat-anlegende" Groschendreher und Pfennigfuchser, der er einmal war; das kapitalistische System konnte mit diesen bürgerlichen Tugenden auch garnichts anfangen. Die privaten Haushalte sind ebenso verschuldet, wie es der staatliche Haushalt ist (das die reichsten Nationen gleichzeitig die Verschuldetsten sind sollte zu denken geben). Außerdem heißt Sparen, keinesfalls "Geld-zu-Hause-in-die-Socke-stecken"; nein, selbst das ersparte Geld wird investiert und wird zinstragendes oder profiterheischendes Finanzkapital, das auf wunderliche Weise vermehrt werden soll, egal wie. Nicht die Sicherheit zählt, sondern das Risiko und die Zockerei (wie bei den neuen Hedge-Fonds, wenn die Wirtschaft schon abfährt, kann man so doch wenigstens einen guten Schnitt machen). Deine beste Äußerung fand ich die Frage: "es gibt eine menge schatten, doch die frage ist, wo kommt der her?" Und Du paraphrasierst weiter: "dass da eventuell irgendwie etwas problematisch ist, darauf kommt niemand." Und da habe ich dann noch gestern in einer Email diese Signatur gelesen: "Es steht doch alles schon bei den Klassikern, sie werden nur nicht gelesen." Noam Chomsky Und so möchte ich es bei einem Buchtipp bewenden lassen und verweise auf den vom Klassenkampf und Proletariat gereinigten, veredelten Marx als Ökonom und Systemkritiker in Robert Kurz' "Marx lesen. Die wichtigsten Texte von Karl Marx für das 21. Jahrhundert." |