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Wieder der Vernunft I: shortcuts, short circuits and bypasses (Seite 2)

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Shagreen
 2003-09-18 11:06
#19837 #19837
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Hallo Jan,

der Status Selbständiger verdunkelt die Tatsache, daß Du trotz alledem einer einkommensabhängigen Beschäftigung nachgehst; es ist aber nur eine "Scheinselbständigkeit" (die auf einmal, wie durch wundersame Weise, staatlich gebilligt, nein gepredigt, wird). "Kümmert Euch selbst, nur kommt uns nicht mit Forderungen! Dann lassen wir Euch auch in Ruhe." Das ist doch beachtlich, nachdem die Produktivkräfte von den Produktionsmitteln getrennt worden sind und die Solidarität der Lohnarbeiter durch ein Sozialsystem vorsätzlich ausgeschaltet worden ist.

Leider kenne ich niemanden mit einer 40-Stundenwoche (ok laut Arbeitsvertrag habe ich eine, zu dumm das das Beamen noch nicht erfunden wurde). Die meisten arbeiten länger, bei manchen ist die Arbeitszeit auch auf zwei (oder drei, wenn man Plasmaspenden dazurechnet) Jobs verteilt. Dann gibt es einige, die arbeiten deutlich weniger. Viele haben schlechtbezahlte Jobs, sie sind aber zufrieden, daß sie überhaupt welche haben. Ich nehme den Verlust an Menschenwürde aber am ehesten wahr, wenn ich Programme für den militärisch-industriellen Komplex entwickeln muß.

Daß Du den Wohlstand einer Nation aus der Masse an Konsumgütern ableitest, damit liegst Du leider auch voll im Mainstream. Wenn Du dabei aber den Besitz eines Fernsehers hervorhebst, entwertest Du Deine eigene Kritik, da Du selbst keinen hast (soweit ich mich erinnere, gelesen zu haben). Noch dazu sind die begehrtesten Konsumgüter Investitionsgüter (z.B. Auto, Handy, Wohneigentum), weniger Verbrauchsgüter. Der deutsche Spießbürger ist nicht mehr der sparsame, vorsichtige und "für-einen-harten-Winter-Vorrat-anlegende" Groschendreher und Pfennigfuchser, der er einmal war; das kapitalistische System konnte mit diesen bürgerlichen Tugenden auch garnichts anfangen. Die privaten Haushalte sind ebenso verschuldet, wie es der staatliche Haushalt ist (das die reichsten Nationen gleichzeitig die Verschuldetsten sind sollte zu denken geben). Außerdem heißt Sparen, keinesfalls "Geld-zu-Hause-in-die-Socke-stecken"; nein, selbst das ersparte Geld wird investiert und wird zinstragendes oder profiterheischendes Finanzkapital, das auf wunderliche Weise vermehrt werden soll, egal wie. Nicht die Sicherheit zählt, sondern das Risiko und die Zockerei (wie bei den neuen Hedge-Fonds, wenn die Wirtschaft schon abfährt, kann man so doch wenigstens einen guten Schnitt machen).

Deine beste Äußerung fand ich die Frage: "es gibt eine menge schatten, doch die frage ist, wo kommt der her?" Und Du paraphrasierst weiter: "dass da eventuell irgendwie etwas problematisch ist, darauf kommt niemand."

Und da habe ich dann noch gestern in einer Email diese Signatur gelesen:
"Es steht doch alles schon bei den Klassikern, sie werden nur nicht gelesen." Noam Chomsky

Und so möchte ich es bei einem Buchtipp bewenden lassen und verweise auf den vom Klassenkampf und Proletariat gereinigten, veredelten Marx als Ökonom und Systemkritiker in Robert Kurz' "Marx lesen. Die wichtigsten Texte von Karl Marx für das 21. Jahrhundert."
jan
 2003-09-18 13:08
#19838 #19838
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natürlich, ich bin abhängig von meinem einkommen, bis zu einem gewissen maße. will sagen: bis dahin, wenn der grundbedarf gedeckt ist. damit habe ich auch gar kein problem, ich betrachte das als vollkommen natürlich; wenn es keine tauschwirtschaft gäbe, wäre ich davon abhängig, mir früchte zu sammeln und kanninchen zu jagen, bis mein grundbedarf gedeckt ist. so haben wir heute nur das geld als universaltauschgut eingesetzt, das ich beispielsweise gegen jede menge früchte eintauschen kann um mir anschließend dann einen zu suchen, der geld gegen kanninchen eintauscht. man reduziert die verschiedenen bedürfnisse auf eines, mit dem sich alle anderen befriedigen lassen (ja, ich rede hier nur von materialen bedürfnissen). gar nicht so böse.
die solidarität der lohnarbeiter sehe ich nicht in allzu großer gefahr, aber selbst wenn, solidarität um der solidarität willen fand ich nie sonderlich prickelnd. solidarität verleiht stärke, natürlich. manchmal wird sie für positive zwecke eingesetzt, manchmal für negative. und oft wird sie gar nicht eingesetzt. nein, solidarisch zu sein, nur, weil man jemandem ähnlich ist, halte ich für fragwürdig.
ich weiß nicht, wie's bei dir ist, aber bei einem freund hier, der festangestellt arbeitet mit 38 stunden woche und so, sind natürlich auch überstunden drin - allerdings mit einem 1:1-ausgleich. das finde ich recht fair, wenn du mehr arbeitest als vereinbart, musst du später mal genauso viel weniger arbeiten. später natürlich in einem kurzfristigen sinne.
wieso musst du programme für den militärischen komplex schreiben? du hast immer die wahl zu sagen "danke, aber läuft nicht", wenngleich du natürlich dann mit den sachzwängen zu kämpfen hast ("wie verdiene ich nun geld, um meine wohnung zu bezahlen, was zu essen zu kaufen etc"), die mE aber natürlich sind und keine systemimmanenten versklavungsmodi sind. gerade dir als gut ausgebildetem know-how-verkäufer sollte es da nicht allzu schwer fallen...

woraus würdest du den reichtum eines volkes (NICHT einer nation, ich rede von der gesellschaft, nicht dem künstlichen gebilde des staates) ablesen? ich finde die konsumgüter sind da eine ganz nette sache, da kann man schauen "ok, der hat hier eine früchte- und kanninchen-ration für die nächsten 4 jahre liegen", das bezeichne ich dann als wohlstand. und wenn man den staat betrachten möchte, der eine einrichtung des souveräns ist, welcher widerrum das volk ist, dann kann man ja mal die rechnung aufmachen "volksvermögen - staatsschulden", da kommt man dann auf 3,6 Billionen Euro - 1,3 Billionen Euro, bleibt ein läppischer überschuß von 2,3 Billionen Euro, das ist doch was. natürlich ist das nicht gleichmäßig (gerecht?) unter den deutschen aufgeteilt, das steht fest. aber besonders hoch verschuldet sind sie nicht. einige, natürlich. und immer mehr, gerade junge leute, die sich davon einlullen ließen, dass sie ja alles auf raten kaufen könnten. aber im ganzen macht das den kohl nicht fett (das muss etwas anderes gewesen sein. ok, der war nur durchschnitt..). wenn man zudem noch die kredite im ausland betrachtet, die von der brd gegeben wurden, die meines wissens allein schon die verbindlichkeiten der brd übersteigen, dann kommt da schon ein bild des wohlstands heraus, denke ich.

mag sein, dass marx das alles schon mal erkannt hat. ich hatte bisher nicht das vergnügen, ihn mal im größeren umfang zu lesen, werde das aber irgendwann in nicht allzu ferner zukunft nachholen, auch wenn seine 2sektoren-theorie widerlegt ist, steht sicher einiges drin. stimme ich zu, denke, marx wäre vor allem für spdler eine lohnende literatur, wenn ich da an seine gedanken zu einem studiengebühren-freien bildungssystem denke. gleichzeitig halte ich es ja mehr mit bakunin und habe daher mit marx von vorneherein schon leichte schwierigkeiten, werde mich aber dennoch mal an die texte heranwagen, wenn zeit dafür ist.
Shagreen
 2003-09-18 16:20
#19839 #19839
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[quote=jan,18.09.2003, 11:08]natürlich, ich bin abhängig von meinem einkommen, bis zu einem gewissen maße. will sagen: bis dahin, wenn der grundbedarf gedeckt ist. damit habe ich auch gar kein problem, ich betrachte das als vollkommen natürlich; wenn es keine tauschwirtschaft gäbe, wäre ich davon abhängig, mir früchte zu sammeln und kanninchen zu jagen, bis mein grundbedarf gedeckt ist.
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Du verwechselst Tauschwirtschaft mit Arbeitsteilung; Arbeitsteilung ist wesentlich älterer und bedingt keinesfalls Tauschwirtschaft, umgekehrt schon.

[quote=jan,18.09.2003, 11:08]so haben wir heute nur das geld als universaltauschgut eingesetzt, das ich beispielsweise gegen jede menge früchte eintauschen kann um mir anschließend dann einen zu suchen, der geld gegen kanninchen eintauscht. man reduziert die verschiedenen bedürfnisse auf eines, mit dem sich alle anderen befriedigen lassen (ja, ich rede hier nur von materialen bedürfnissen). gar nicht so böse.
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Nein, es ist eben nicht nur Universaltauschgut, welches nur im Augenblick der Veräußerung seinen Wert in der Warenform vergegenständlicht. Geld in seiner eigenen Warenform wird Kapital, dem Leben eingehaucht wird, um sich zu vermehren (eine Eigenart, die dem Menschen zunehmend abhanden kommt). Hortest Du es nur bei Dir im Schrank, bleibt es einfach totes Kapital.

[quote=jan,18.09.2003, 11:08]die solidarität der lohnarbeiter sehe ich nicht in allzu großer gefahr, aber selbst wenn, solidarität um der solidarität willen fand ich nie sonderlich prickelnd. solidarität verleiht stärke, natürlich. manchmal wird sie für positive zwecke eingesetzt, manchmal für negative. und oft wird sie gar nicht eingesetzt. nein, solidarisch zu sein, nur, weil man jemandem ähnlich ist, halte ich für fragwürdig.
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Solidarität gibt es oder sie gibt es nicht; zwei Zustände. Leider unterscheidest Du wie die Kommunisten früher, die Restbürgerlichen heute zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter. Wie Du schon am Beispiel der Manager und Politiker richtig erkannt hast, sind sie selbst nur "Offiziere und Unteroffiziere des Kapitals", deren Arbeitskraft auch vernutzt wird. Von Solidarität keine Spur; jeder spielt den einen mit den anderen aus - Politiker - Gewerkschafter - Arbeitgeber - Arbeitnehmer - Arbeitsloser - Rentner - ...

[quote=jan,18.09.2003, 11:08]ich weiß nicht, wie's bei dir ist, aber bei einem freund hier, der festangestellt arbeitet mit 38 stunden woche und so, sind natürlich auch überstunden drin - allerdings mit einem 1:1-ausgleich. das finde ich recht fair, wenn du mehr arbeitest als vereinbart, musst du später mal genauso viel weniger arbeiten. später natürlich in einem kurzfristigen sinne.
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Nein, Reiseaufwendungen muß ich zusätzlich erbringen und bekomme ich schlechter bezahlt; was ein absoluter Traum für die Pendler ist, die auf eigene Kosten in der Republik rumhetzen müssen.

[quote=jan,18.09.2003, 11:08]wieso musst du programme für den militärischen komplex schreiben? du hast immer die wahl zu sagen "danke, aber läuft nicht", wenngleich du natürlich dann mit den sachzwängen zu kämpfen hast ("wie verdiene ich nun geld, um meine wohnung zu bezahlen, was zu essen zu kaufen etc"), die mE aber natürlich sind und keine systemimmanenten versklavungsmodi sind. gerade dir als gut ausgebildetem know-how-verkäufer sollte es da nicht allzu schwer fallen...
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Hier ersparst Du mir die halbe Antwort. Den anderen Teil gebe ich gerade.

[quote=jan,18.09.2003, 11:08]woraus würdest du den reichtum eines volkes (NICHT einer nation, ich rede von der gesellschaft, nicht dem künstlichen gebilde des staates) ablesen? ich finde die konsumgüter sind da eine ganz nette sache, da kann man schauen "ok, der hat hier eine früchte- und kanninchen-ration für die nächsten 4 jahre liegen", das bezeichne ich dann als wohlstand. und wenn man den staat betrachten möchte, der eine einrichtung des souveräns ist, welcher widerrum das volk ist, dann kann man ja mal die rechnung aufmachen "volksvermögen - staatsschulden", da kommt man dann auf 3,6 Billionen Euro - 1,3 Billionen Euro, bleibt ein läppischer überschuß von 2,3 Billionen Euro, das ist doch was. natürlich ist das nicht gleichmäßig (gerecht?) unter den deutschen aufgeteilt, das steht fest. aber besonders hoch verschuldet sind sie nicht. einige, natürlich. und immer mehr, gerade junge leute, die sich davon einlullen ließen, dass sie ja alles auf raten kaufen könnten. aber im ganzen macht das den kohl nicht fett (das muss etwas anderes gewesen sein. ok, der war nur durchschnitt..). wenn man zudem noch die kredite im ausland betrachtet, die von der brd gegeben wurden, die meines wissens allein schon die verbindlichkeiten der brd übersteigen, dann kommt da schon ein bild des wohlstands heraus, denke ich.
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Und Du meinst wirklich, daß der Staat seine Schulden bedienen kann. Das Volk ist kein Souverän, sondern Gläubiger (was wortwörtlich zu verstehen ist *mehr Opium fürs/des Volk(s)*) und schon fällt das Kartenhaus mitten in der schönsten Weltwirtschaftskrise zusammen. Der wirkliche Reichtum eines Volkes liegt in ihm selbst, des Wissens, des Könnens, der Kultur und der Kraft zur Reproduktion ihres Daseins.

[quote=jan,18.09.2003, 11:08]mag sein, dass marx das alles schon mal erkannt hat. ich hatte bisher nicht das vergnügen, ihn mal im größeren umfang zu lesen, werde das aber irgendwann in nicht allzu ferner zukunft nachholen, auch wenn seine 2sektoren-theorie widerlegt ist, steht sicher einiges drin. stimme ich zu, denke, marx wäre vor allem für spdler eine lohnende literatur, wenn ich da an seine gedanken zu einem studiengebühren-freien bildungssystem denke. gleichzeitig halte ich es ja mehr mit bakunin und habe daher mit marx von vorneherein schon leichte schwierigkeiten, werde mich aber dennoch mal an die texte heranwagen, wenn zeit dafür ist.
[/quote]
Marx ist leider für jedes bürgerliche System gefährlich; die Kommunisten haben ihn nur halb totgeschwiegen, jetzt scheint er komplett widerlegt. Auf die Zwei-Sektoren-Theorie bin ich noch nicht gestoßen; da weißt Du mehr als ich. Bakunin steht bei mir auch noch auf der Liste. Vielleicht treffen wir uns gedanklich ja noch :)
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